Image00002„ ‚Name?‘, fragt der Arzt. ‚Rahel‘, sagt meine Mutter, ‚Sie soll Rahel heißen.‘ Der Arzt guckt bestürzt. ‚Rahel?‘, fragt er entsetzt und schaut meine Mutter ungläubig an, ‚Das geht nicht. Viel zu jüdisch!‘ Meine Mutter ist zu schwach, um Widerstand zu leisten. ‚Dann eben Renate‘, sagt sie und schließt müde die Augen.“
So startet die inzwischen 80 Jahre alte Fr. Mann ihren Vortrag und fügt noch hinzu: „Heute ist mein erster Vorname Rahel, aber meine ganze Kindheit lang hieß ich Renate Wolf.“ Diese Geschichte darf man wohl symbolisch sehen für ebenjene Kindheit, die Rahel, oder eben Renate, durchlebt hat.


Sie ist ein Kind jüdischer Eltern. Ihre Mutter überlebte das KZ, doch ihr Vater wurde erschossen; sie kannte ihn nicht. Sie selbst wusste nie von ihren jüdischen Wurzeln, dachte immer sie würde versteckt, weil sie ein uneheliches Kind sei. In diesem Glauben verbrachte sie die ersten Jahre ihrer Kindheit in Pflegefamilien, bis 1944, als keine mehr aufzufinden war, die sie hätte aufnehmen können und wollen.
„Ich hatte unfassbares Glück“, sagt sie nun Jahre später, „Ich hatte Frau Vater, die Nachbarin meiner Mutter, die mich nun, da sie keine Familie mehr für mich fand, im Keller versteckte.“ Fünf Monate saß sie dort unten fest, versteckt hinter einem Schrank, auf einem Bett mit zwei Decken, einem Eimer und weiter nichts. Wenn sie Stiefel hörte, durfte sie sich nicht rühren, dann durchsuchte die Gestapo den Keller. „Ich habe natürlich oft Angst gehabt. Wenn Bomben fielen, wenn ich die Stiefel hörte. Aber gleichzeitig habe ich mich in diesem Keller auch behütet gefühlt.“
Ein deutlicher Kontrast dazu waren die gelegentlichen nächtlichen Spaziergänge, auf die sie der im Haus wohnende Widerstandskämpfer Wolfgang mitnahm. Zu diesem Zeitpunkt entstand auch ihr erster Berufswunsch. Das Problem seien nicht die Leichen gewesen, über die sie gestiegen seien. „Die kamen mir da so liegend richtig erlöst vor. Das Problem waren die Verletzten, die stöhnten und schrien. Da war für mich klar: Ich will Ärztin werden.“
Irgendwann kam Wolfgang nicht mehr, er musste fliehen, doch er hatte Renate ein altes Schulheft dagelassen, in das er das gesamte Alphabet geschrieben hatte. „Ja und da saß ich also, während draußen Krieg war, in meiner Nische und habe stundenlang Buchstaben abgeschrieben.“ Aus dem Grund habe sie heute auch so eine schöne Handschrift, sagt Frau Mann und lacht.
Dann geschah lange Zeit nichts; keine Bomben, keine Stiefel. Bis eines Tages mehr Stiefel als sonst zu hören waren, außerdem Rufe in einer fremden Sprache: Die Russen. Sie entdeckten Renate und einer versuchte durch die verschiedenen Möbel, die zu ihrem Schutz um sie herum drapiert worden waren, zu ihr zu gelangen. „Und dann hat er was ganz Schlaues gemacht.“, erinnert sich Frau Mann. „Wie er so auf mich zukam, zog er ein Bild aus der Innentasche seiner Jacke, ein Foto, und hielt es mir hin. Darauf war ein ganzes Dorf zu sehen. Männer mit langen Bärten, Frauen, und vorne ganz viele Kinder. Dadurch hatte ich keine Angst mehr. Das werde ich nie vergessen.“
Image00001Renate ließ sich mitnehmen, und die Russen päppelten sie wieder auf, versorgten sie mit Essen, bis plötzlich keiner mehr kam. „Da hatten die Amis das Gebiet besetzt. Ich habe mich immer von denen ferngehalten, hatte nicht sonderlich viel mit denen am Hut.“ Eine Zeit lang sei sie mit zwei Jungen aus der Nachbarschaft in den Ruinen herumgestreunt, dann sei sie in die Schule gekommen.
Auf dem Rückert-Gymnasium hat sie ihr Abitur gemacht, und erlernte mehrere Berufe, unter anderem Lehrerin und Psychotherapeutin. Sie hat eine Familie gegründet, Kinder bekommen, Enkel, und nun sogar Urenkel, die auf einigen Bildern zu sehen sind, die sie uns mitgebracht hat.
Uns hat der Besuch sehr gut gefallen, wir haben viel Interessantes über Frau Mann und die Zeit, in der sie gelebt hat, erfahren und möchten uns dafür recht herzlich bei ihr bedanken.

      

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